Die deutsche Sportindustrie boomt. Mit einem Umsatz von fast 6 Milliarden Euro in der Fitnessbranche allein, über 11,7 Millionen Mitgliedern und rund 157.700 Beschäftigten ist sie ein Schwergewicht der Dienstleistungs- und Konsumgüterwirtschaft. Doch wenn es um die Finanzierung von Fitnessstudios, Sportartikelherstellern oder digitalen Sportplattformen geht, greifen viele Banken immer noch auf Bewertungsmodelle zurück, die für die Öl- und Gasindustrie entwickelt wurden – eine strategische Fehlentscheidung mit erheblichen Risiken.
Die Bilanz der Sportindustrie: Skalierbarkeit statt Bohrinseln
Ein Blick auf die wirtschaftliche DNA der Sportbranche offenbart fundamentale Unterschiede zu rohstoffbasierten Industrien:
- Umsatzstruktur: Geprägt von wiederkehrenden, planbaren Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge (Durchschnitt: 46,95 €/Monat). Dieser Abo-Charakter schafft eine stabile Cashflow-Basis, die mit den von Rohstoffpreisen abhängigen, volatilen Einnahmen der Ölindustrie nicht vergleichbar ist.
- Kostenstruktur: Hohe Personalkosten und laufende Betriebskosten (OPEX) für Mieten, Energie und Wartung dominieren. Die CAPEX (Investitionsausgaben) für Geräte, IT-Systeme und Standorterweiterungen sind zwar signifikant, aber wiederkehrend und skalierbar, nicht vergleichbar mit den milliardenschweren, langfristigen Explorationinvestitionen der Energiebranche.
- Vermögenswerte: Die wertvollsten Assets sind immateriell: die Marke, der Kundenstamm, proprietäre Softwarelösungen, Trainingskonzepte und exklusive Vertriebspartnerschaften. Physische Sicherheiten wie Fitnessgeräte unterliegen einem rapiden Wertverfall.
Während der ROI (Return on Investment) eines Ölprojekts an Fördermengen und Weltmarktpreisen gemessen wird, hängt der Erfolg in der Sportindustrie von der Mitgliederbindung, der Expansion von Standorten und der Skalierung digitaler Angebote ab.
Die systemische Fehlbewertung: Warum Öl-Standards in die Irre führen
Die Anwendung von Bewertungskriterien der Rohstoffindustrie auf die Sportwirtschaft hat fatale Folgen:
- Falsche Sicherheitenbewertung: Eine Bank, die nach physischen Sicherheiten sucht, übersieht den eigentlichen Wert eines Fitnessstudios: seine loyalen Mitglieder und deren zukünftige Beitragszahlungen (der sogenannte „Member Lifetime Value“). Die immateriellen Werte, die den nachhaltigen Cashflow generieren, bleiben unberücksichtigt.
- Unpassende Risikokennzahlen: Die großen Risiken der Sportindustrie liegen nicht in geopolitischen Spannungen oder Explorationsausfällen, sondern in sich ändernden Konsumententrends, einem Verlust des Markenimages, disruptiven digitalen Konkurrenten oder personalbedingten Qualitätsschwankungen. Diese werden von Öl/Gas-Modellen nicht erfasst.
- Fehlallokation von Kapital: Innovative Geschäftsmodelle, wie hybride Fitness-Angebote (Kombination aus Studio und App) oder Tech-Start-ups im Sportbereich, scheitern oft an den strengen, auf materielle Sicherheiten ausgerichteten Kreditvergabekriterien der Banken. Dies hemmt Innovation und Wachstum.
Das unterschätzte Finanzrisiko: AML & KYC im Sportbusiness
Während Banken auf die falschen Bilanzkennzahlen starren, blenden sie reale finanzielle Bedrohungen aus. Die Gefahren der Geldwäsche (AML) und die Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Kundenprüfung (KYC) sind auch im Sportsektor allgegenwärtig.
- Risikobereiche: Die Branche ist hochgradig international, bargeldintensiv (vor allem bei Einzelmitgliedschaften und Merchandise-Verkauf) und anfällig für undurchsichtige Investorenstrukturen, insbesondere im Bereich Profisport-Vereine und Großveranstaltungen. Die Finanzierung von Clubkäufen, Spielertransfers oder teuren Lizenzgeschäften kann für Geldwäsche missbraucht werden.
- Die falsche Art, damit umzugehen: Eine Bank, die bei einem Fitnessstudio-Kettenkredit nur die Bilanz, nicht aber die Herkunft des Eigenkapitals der Eigentümer oder die Zahlungsströme bei internationalen Franchise-Partnern prüft, handelt grob fahrlässig.
- Die Schadenssumme: Die potenzielle Schadenssumme für eine Bank, die in einen Geldwäscheskandal im Umfeld des Profisports verwickelt wird, ist immens. Sie reicht von regulatorischen Strafen in milliardenhöhe über reputationsschädigende Enthüllungen bis zum kompletten Vertrauensverlust der Kunden.
Der Weg zur Lösung: Ein maßgeschneiderter Bewertungsrahmen für Banken
Banken müssen ihre Prozesse an die Realität der Sportindustrie anpassen:
- Bewertung von Zukunftscashflows: Entwicklung von Modellen, die den Wert wiederkehrender Einnahmen (Abos) und die Kundenbindungsrate (Churn Rate) quantitativ als Sicherheit bewerten können.
- Branchenspezifische Due Diligence: Die Risikoprüfung muss Markenstrength, digitale Plattformen, Managementexpertise und Wettbewerbsvorteile analysieren, nicht Explorationsrechte.
- Verschärfte AML/KYC-Prüfung: Banken müssen von Sportunternehmen, insbesondere denen mit internationalen Aktivitäten oder im Profisport, absolute Transparenz über die wirtschaftlich Berechtigten (Ultimate Beneficial Owners) einfordern. Die Überprüfung von Großinvestoren und die Nachverfolgung von Zahlungsströmen im internationalen Geschäft ist obligatorisch.
- Agile Finanzierungsmodelle: Die Entwicklung von Finanzierungsinstrumenten, die auf skalierbare Geschäftsmodelle zugeschnitten sind (z.B. Wachstumsfinanzierung basierend auf KPIs wie Mitgliederzahlen), ist essenziell.
Die Komplexität internationaler Expansion, Franchise-Netzwerke und großvolumiger Sponsoring- und Medienrechte-Deals erfordert spezialisiertes Know-how. Erfahrene Partner, die mit der Strukturierung und transparenten Abbildung solcher globalen Projektgeflechte vertraut sind, können dabei helfen, die nötige Transparenz für eine sichere Bankfinanzierung herzustellen.
Fazit
Die Sportindustrie finanziert sich nicht mit Öl. Die fortgesetzte Anwendung veralteter Bewertungsstandards durch Banken behindert einen der dynamischsten Wirtschaftssektoren und blendet die eigentlichen finanziellen Risiken, insbesondere im Bereich Compliance, systematisch aus. Es ist an der Zeit, dass Finanzinstitute einen Bewertungsrahmen entwickeln, der die Währung der Sportwirtschaft erkennt: Menschen, Mitgliedschaften und digitale Plattformen – nicht Fördermengen und Reserven.
Quellen:
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