Opern, Ballett & Klassik: Warum Banken mit Öl-Standards eine Kulturindustrie falsch bewerten

Die Welt der Opern, Ballettkompanien und klassischen Orchester stellt eine einzigartige Symbiose aus Hochkultur und Wirtschaft dar. Mit einem Umsatz von rund 6,2 Milliarden Euro allein im Bereich der darstellenden Künste in Deutschland und über 41.600 Beschäftigten ist sie ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Doch im Büro eines Bankers wird diese komplexe Industrie oft mit denselben risikobasierten Modellen bewertet wie ein Öl- oder Gasprojekt – eine Herangehensweise, die sowohl die Branche als auch die Banken selbst gefährdet.

Die Bilanz einer Kulturinstitution: Eine andere Welt

Die wirtschaftliche DNA eines Opernhauses unterscheidet sich fundamental von der eines Energieunternehmens. Eine Analyse der Bilanz offenbart die Diskrepanz:

  • Umsatzstruktur: Die Einnahmen setzen sich aus einem fragilen Mix zusammen: Ticketverkäufe (oft nur ~6% der Bevölkerung als Zielgruppe), essenzielle öffentliche Förderungen, Sponsoring und Merchandising. Im Gegensatz zu den konstanten Cashflows im Energiegeschäft ist diese Struktur volatil und von öffentlichen Haushalten abhängig.
  • Kostenstruktur: Bis zu 70% der Gesamtausgaben sind Personalkosten – für Sänger, Tänzer, Musiker, Techniker. Bei Öl- und Gasprojekten dominieren hingegen CAPEX (Investitionsausgaben) für Equipment und Exploration sowie variable OPEX für Material und Logistik.
  • Vermögenswerte: Die wertvollsten Assets sind immateriell: der künstlerische Ruf, ein festes Ensemble, historische Spielstätten und ein treues Stammpublikum. Physische Sicherheiten wie Kostüme, Instrumente oder Bühnentechnik sind nur begrenzt beleihbar. Der ROI (Return on Investment) misst sich nicht nur in Euro, sondern auch in kultureller Strahlkraft und Tourismusattraktivität, wie der Wiener Opernball zeigt, der über 190 Mio. Euro Umsatz generiert.

Während sich die Bewertung eines Ölprojekts an Reserven, Fördermengen und Marktpreisen orientiert, fußt der Wert einer Kulturinstitution auf ihrer künstlerischen Qualität, ihrer Gemeinwohlorientierung und ihrer ability, immer wieder neue Produktionen zu realisieren.

Die fatale Fehlanwendung: Warum Öl- und Gas-Standards scheitern

Die pauschale Anwendung von Bewertungs- und Due-Diligence-Standards aus der Rohstoffindustrie führt zu systematischen Fehlentscheidungen:

  1. Falsche Bewertung der Sicherheiten: Eine Bank, die nach Öl-Standards bewertet, sieht in einem historischen Opernhaus primär ein altes Gebäude mit hohem Renovierungs-CAPEX, nicht aber den magnetischen Anziehungspunkt für Kulturtourismus. Den eigentlichen Wert – das Ensemble, den künstlerischen Leiter, den Spielplan – kann sie bilanzielle kaum erfassen.
  2. Unpassende Risikobewertung: Die großen Risiken der Kultur liegen nicht in geopolitischen Spannungen oder Explorationsausfällen, sondern in der Streichung von öffentlichen Zuschüssen, dem Ausfall von Schlüsselpersonal, einem Imageverlust oder pandemiebedingten Spielausfällen. Diese Risiken werden von Öl/Gas-Modellen nicht adäquat abgebildet.
  3. Fehlallokation von Kapital: Innovative Projekte wie digitale Streaming-Abos für Ballett oder internationale Ko-Produktionen erhalten aufgrund der „weichen“ Faktoren und der komplexen ROI-Berechnung keine Finanzierung. Die Branche wird in ihrer Entwicklung gebremst.

Das übersehene Risiko: AML & KYC im Kulturbetrieb

Während Banken auf die falschen Kennzahlen schauen, übersehen sie oft die realen finanziellen Risiken. Die Prinzipien der Geldwäschebekämpfung (AML) und der Kundenkenntnis (KYC) sind auch im Kulturbetrieb von entscheidender Bedeutung.

  • Risikobereiche: Die Branche ist international vernetzt und arbeitet mit einer Vielzahl von freien Künstlern, Agenturen, Kostüm- und Bühnenbildnern aus aller Welt. Zahlungsströme für Künstlerhonorare, Lizenzgebühren oder Auftragsarbeiten können anfällig für Geldwäsche sein, wenn die wirtschaftlich Berechtigten nicht klar identifiziert sind. Gerade im hochpreisigen Sponsoring- und Stiftungsbereich besteht die Gefahr, dass Gelder aus undurchsichtigen Quellen fließen.
  • Die falsche Art, damit umzugehen: Eine Bank, die bei einem Opernhaus oder einer Tourneeagentur nur die Bilanzkennzahlen prüft, aber keine due diligence bezüglich der Geldgeber und internationalen Partner durchführt, handelt fahrlässig.
  • Die Schadenssumme: Die Schadenssumme für eine Bank, die in einen Geldwäscheskandal verwickelt wird, geht weit über den Ausfall eines einzelnen Kredites hinaus. Es drohen regulatorische Strafen in milliardenhöhe, reputationsschädigende Schlagzeilen und der Verlust der Geschäftslizenz.

Was zu tun ist: Ein neuer Bewertungsrahmen für Banken

Banken müssen ihre Prozesse an die Realität der Kulturindustrie anpassen:

  1. Branchenspezifische Bewertung: Entwicklung von Bewertungsmodellen, die immaterielle Werte (Marke, künstlerischer Wert) und Gemeinwohlbeitrag quantifizieren können.
  2. Cashflow-basierte Betrachtung: Stärkere Fokussierung auf die Planbarkeit und Diversifizierung der Einnahmequellen (Ticketstreams, Förderungen, Sponsoring) statt auf reine Bilanzaktiva.
  3. Risikomanagement: Die Due Diligence muss die spezifischen Risiken der Branche abdecken, insbesondere die Abhängigkeit von öffentlichen Geldern.
  4. Verschärfte AML/KYC-Prüfung: Banken müssen von ihren Kunden aus der Kulturwirtschaft transparente Eigentümerstrukturen und die lückenlose Offenlegung ihrer Geldgeber und internationalen Partner einfordern. Die Überprüfung der wirtschaftlich Berechtigten hinter Sponsoring-Verträgen oder Stiftungsgeldern ist essenziell.

Die Komplexität internationaler Ko-Produktionen und Finanzierungsgeflechte erfordert oft spezialisiertes Know-how. Erfahrene Partner, die mit der Abbildung und Durchleuchtung globaler Projektstrukturen vertraut sind, können hier wertvolle Unterstützung leisten, um die notwendige Transparenz für Banken zu schaffen.

Fazit

Die Finanzierung von Oper, Ballett und klassischer Musik mit den Werkzeugen der Öl- und Gasindustrie ist zum Scheitern verurteilt. Sie behindert die kulturelle Entwicklung und blendet die wahren finanziellen Risiken, insbesondere im Bereich Compliance, aus. Banken sind gefordert, endlich einen Bewertungsrahmen zu entwickeln, der der einzigartigen Ökonomie der Kultur Rechnung trägt – eine Ökonomie, in der sich künstlerischer Wert und kommerzieller Erfolg nicht ausschließen, sondern idealerweise gegenseitig befruchten.

Quellen:

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