Die Geschichte der deutschen Restrukturierung ist eine Geschichte der großen Namen: Siemens, VW, Infineon. Doch das wahre Drama spielt sich oft im Verborgenen ab, in den Werkhallen von Mittelständlern, die das Rückgrat der deutschen Industrie bilden. Der Fall des Lackieranlagen-Subunternehmers Steffen Fritschi und seines Unternehmens für Dürr ist dafür ein Lehrstück. Es zeigt, wie die Auslagerungsstrategie der Großkonzerne ein Domino-System der Abhängigkeit und des Scheiterns erzeugt.
Der Playbook-Schritt: Risiko outsourcen, Gewinne internalisieren
Die Dürr AG, Weltmarktführer für Lackierstraßen in der Autoindustrie, steht wie alle Großkonzerne unter immensem Margendruck. Die Lösung ist immer dieselbe: Fokussierung auf das Kerngeschäft(Engineering, Projektmanagement, Marketing) und Auslagerung der risikoreichen, kapitalintensiven Teile (Fertigung, Montage, Installation).
Unternehmer wie Steffen Fritschi und seine Fritschi Sondermaschinen GmbH werden zu Partnern in diesem Spiel. Sie übernehmen als Subunternehmer die Verantwortung für die „Turn-Key“-Projekte – also die komplette Realisierung einer Lackierstraße bis zur schlüsselfertigen Übergabe.
Für Dürr ist das der perfekte Deal:
- Kosten werden variabilisiert: Man bezahlt nur noch den Auftrag, nicht mehr die ganzjährigen Löhne der Monteure.
- Risiko wird transferiert: Terminverzögerungen, Kostenüberschreitungen und Gewährleistungsansprüche treffen primär den Subunternehmer.
- Die Bilanz wird clean: Keine großen Maschinenparks, keine hohen Personalbestände.
Die Falle für den Mittelständler: Abhängigkeit und Zahlungsziele
Für einen Unternehmer wie Fritschi sieht der Deal zunächst verlockend aus: Ein großer Name als Kunde, scheinbar konstante Auftragslage. Doch die Realität ist eine Falle:
- Totale Abhängigkeit: Der Großkunde Dürr wird zum nahezu einzigen Auftraggeber. Der eigene Erfolg hängt am Tropf eines einzigen Konzerns.
- Erbarmungsloser Preisdruck: Dürr drückt die Preise für die Aufträge kontinuierlich, um selbst wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Marge des Zulieferers schmilzt auf ein Minimum.
- Lange Zahlungsziele: Rechnungen werden oft erst nach 90, 120 Tagen oder mehr bezahlt. Der Subunternehmer muss die Löhne seiner Mitarbeiter und die Materialkosten jedoch sofort vorfinanzieren.
- Haftung für Gewährleistung: Geht etwas an der komplexen Anlage kaputt, haftet der kleine Subunternehmer, nicht der milliardenschwere Großkonzern.
Diese Konstellation ist brandgefährlich. Sie erfordert eine hohe Eigenkapitaldecke, die viele Mittelständler nicht haben. Ein einziger großer Reklamationsfall, eine Verspätung bei einer Zahlung von Dürr oder ein kurzfristiger Auftragsrückgang reichen aus, um die Firma in den Abgrund zu reißen. Die Insolvenz von Fritschis Unternehmen ist kein Einzelschicksal, sondern systemisches Risiko dieses Geschäftsmodells.
Die Parallele zu Wacker, Solarworld & Co.: Das gleiche Spiel, andere Branche
Genau dieses Muster sehen wir in der gesamten deutschen Industrie:
- Bei Wacker Chemie wurden Dienstleister für Wartung und Logistik ausgegründet. Fielen die Polysilizium-Preise, wurden deren Aufträge gestrichen – Insolvenzen waren die Folge.
- In der Solarbranche waren Firmen wie Solarworld und Q-Cells zunächst die großen Auftraggeber für Maschinenbauer und Anlagenbauer. Als sie selbst unter chinesischen Dumpingpreisen zusammenbrachen, rissen sie Dutzende abhängiger Zulieferer mit in die Insolvenz.
- In der Halbleiterindustrie war der Untergang von Qimonda eine Katastrophe für einen ganzen Ökosystem von High-Tech-Zulieferern rund um Dresden.
Immer ist es das gleiche Domino-Prinzip: Der große Konzern stößt Risiko ab, um sich selbst zu retten oder profitabler zu wirken. Die kleinen Partner, die ihm dienen, stehen am Ende der Nahrungskette und werden von den Erschütterungen, die der Große auslöst, zerquetscht.
Fazit: Der Mythos vom starken Mittelstand
Deutschland rühmt sich seines starken Mittelstands. Doch die Realität zeigt: Dieser Mittelstand ist oft nur der verlängerte Arm der Großkonzerne, der deren Risiken schultert. Er ist der Puffer, der die Krisen abfedert – oft mit der eigenen Existenz.
Die Insolvenz eines Unternehmens wie dem von Steffen Fritschi ist keine Nachricht für die Titelseite. Sie ist ein stiller, administrativer Vorgang. Doch sie steht symbolisch für Hunderte ähnlicher Schicksale. Sie ist das Ergebnis einer Wirtschaftslogik, die kurzfristige Bilanzoptimierung über langfristige Partnerschaften und Verantwortung stellt.
Die Großkonzerne haben ihre Lektion aus der Siemens-Ära gelernt und wenden sie perfekt an. Der Mittelstand zahlt die Rechnung. Am Ende bleiben die Konzerne clean da – umgeben von den Trümmern ihrer ehemaligen Partner.