Wenn von Kolonialgeschichte und Rohstoffen die Rede ist, dominieren oft die Narrative der großen Imperien wie Großbritannien oder Frankreich. Doch auch andere europäische Mächte hinterließen ihr Erbe in Afrika – ein Erbe, das heute in Form von Öl- und Gasvorkommen neu bewertet wird. Eine Reise zu den ehemaligen Kolonien Äthiopiens, Deutschlands und einer Macht, die nie Kolonialmacht war: Österreich.
Äthiopien: Der unabhängige Riese erwacht
Äthiopien nimmt eine Sonderrolle ein. Es war nie eine klassische Kolonie, sondern wehrte italienische Invasionsversuche erfolgreich ab und bewahrte seine Unabhängigkeit bis auf eine kurze Besatzungszeit (1936-1941). Daher ist sein Weg im Öl- und Gasgeschäft frei von direkten kolonialen Altlasten und wird von eigener nationaler Strategie geprägt.
- Potenzial und Exploration: Seit den 2000er Jahren werden vor allem in den Regionen Gambela und Ogaden (Somali-Region) vielversprechende Öl- und Gasvorkommen erkundet. Die Industrie ist absolut jung; es gibt keine historischen Altanlagen.
- Schlüsselprojekt: Äthiopien ist zwar nicht direkt Förderer, aber ein wichtiger geopolitischer Partner im East African Crude Oil Pipeline (EACOP)-Projekt. Diese Pipeline, maßgeblich vorangetrieben von TotalEnergies, soll ugandisches Öl zum Hafen in Tansania transportieren und sorgt für massive Kontroversen aufgrund ihrer Umweltauswirkungen.
- Die Akteure: Die staatliche Petroleum Ethiopia beaufsichtigt die Exploration. Als Partner sind internationale Giganten wie TotalEnergies im Gespräch. Beim Aufbau der Infrastruktur kommen globale EPC-Spezialisten wie Saipem und TechnipFMC zum Einsatz.
Äthiopiens Energiezukunft ist eng mit seiner Rolle als regionaler Stromlieferant durch den Renaissance-Staudamm verknüpft. Sollten die Öl- und Gasexplorationen erfolgreich sein, könnte das Land zu einem bedeutenden multidimensionalen Energieakteur in Ostafrika aufsteigen.
Deutschlands koloniales Erbe: Vom „Schutzgebiet“ zur Gasgräberei
Deutschlands Kolonialreich war kurzlebig, aber seine Hinterlassenschaft in Ländern wie Tansania und Kamerun ist bis heute spürbar – auch im Energiesektor.
- Tansania (ehem. Deutsch-Ostafrika): Das Land hat sich zu einem Schwergewicht der regionalen Gasförderung entwickelt. Massive Offshore-Gasvorkommen im Süden, vor allem im Gebiet um Lindi, bilden die Grundlage für geplante milliardenschwere LNG-Terminal-Projekte. Diese sollen Gas für den Export verflüssigen und Tansania zu einem globalen Player machen. Unternehmen wie Shell und Equinor treiben diese Projekte voran, unterstützt von EPC-Firmen und Dienstleistern wie Baker Hughes und Schlumberger.
- Kamerun (ehem. Deutsch-Kamerun): Kameruns Öl- und Gasindustrie ist etablierter. Seit den 1970er Jahren wird sowohl on- als auch offshore gefördert. Anders als in Tansania liegt der Fokus hier auf Öl. Betreiber wie Perenco und TotalEnergies betreiben die modernisierten Anlagen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem nachkolonialen Erbe: Die Grenzziehung durch die Kolonialmächte ist Ursache des anhaltenden Bakassi-Halbinsel-Konflikts mit Nigeria, einer Region mit signifikanten Ölvorkommen.
Das deutsche koloniale Erbe zeigt sich hier weniger in der direkten Förderinfrastruktur, sondern vielmehr in den politischen Grenzen, die heutige Konflikte um Ressourcen befeuern.
Und Österreich? Der Kolonialstaat, der nie einer war
Ihre Anfrage erwähnt österreichische Kolonien. Hier ist die Antwort eindeutig: Österreich ( bzw. Österreich-Ungarn) besaß keine offiziellen Kolonien in Afrika. Daher gibt es kein direktes koloniales Erbe Österreichs, das sich in heutigen Öl- und Gasförderungen widerspiegelt. Die Bedeutung Österreichs in der globalen Öl- und Gasbranche liegt vielmehr in seiner Rolle als Heimatmarkt für bedeutende EPC-Firmen und Dienstleister wie die OMV (als Betreiber) oder Anbieter von Hochtechnologie, die weltweit auf Bohrplattformen und in Raffinerien zum Einsatz kommen.
Die britische Perspektive: Tullow Oil als Beispiel
Ihre ergänzende Tabelle führt die Dimension der ehemaligen britischen Kolonien ein, die den afrikanischen Öl- und Gasmarkt dominieren. Ein paradigmatisches Beispiel ist Tullow Oil.
Das 1985 gegründete Unternehmen spezialisierte sich auf Felder in ehemals britischen Kolonien und wurde mit der Entdeckung des Jubilee-Felds in Ghana (2007) zum Shooting-Star der Branche. Tullows Geschichte – von der Entdeckung über die Förderung bis zum recenten Verkauf seiner Anteile in Uganda an TotalEnergies (2025) – zeigt die Dynamik und Volatilität des Geschäfts in dieser Region.
Die Infrastruktur in Ländern wie Ghana und Nigeria wird von den üblichen globalen Verdächtigen gebaut und gewartet: Saipem, TechnipFMC, McDermott als EPCs, sowie Schlumberger, Halliburtonund Baker Hughes als allgegenwärtige Dienstleister.
Fazit: Verschlungene Pfade der Geschichte
Die Suche nach Öl und Gas in den ehemaligen Kolonien der „zweiten Reihe“ offenbart unterschiedliche Pfade:
- Äthiopien geht seinen eigenen, späten und von nationaler Souveränität geprägten Weg.
- Deutschlands koloniales Erbe lebt in den politischen Rahmenbedingungen weiter, die die Ressourcenförderung in Tansania und Kamerun bis heute beeinflussen.
- Österreichs Rolle ist die eines neutralen Technologielieferanten, ohne koloniales Erbe.
- Großbritanniens Erbe schließlich ist allgegenwärtig und wird von großen unabhängigen Firmen wie Tullow Oil genutzt, die die Lücke zwischen den Mega-Konzernen und den staatlichen Gesellschaften füllen.
Die Landkarte der afrikanischen Öl- und Gasförderung ist somit ein komplexes Palimpsest, auf dem die Schriften verschiedener imperialer und nachimperialer Ambitionen bis heute sichtbar sind.