Die Spuren des Impero Italiano sind bis heute in den Architekturen, Sprachen und Küchen Nord- und Ostafrikas sichtbar. Doch während Rom einst nach landwirtschaftlichem Reichtum und strategischer Macht strebte, liegt das wahre Erbe des italienischen Kolonialismus heute oft tief unter der Erde verborgen: in Form von Öl- und Gasvorkommen.
Die Geschichte dieser Ressourcen ist eine Erzählung von großem Reichtum, gescheiterten Träumen und ungewisser Zukunft. Wir werfen einen Blick auf die ehemaligen italienischen Kolonien und ihre Bedeutung im globalen Energiemarkt.
Libyen: Der Kronjuwel mit getrübtem Glanz
Libyen ist das Paradebeispiel für den unerfüllten Traum eines „Italienischen Imperiums“, der sich in einen energiewirtschaftlichen Albtraum verwandelt hat.
- Historischer Kontext: Als „Italienisch-Libyen“ von 1911 bis 1943 war es die wichtigste und bevölkerungsreichste Kolonie. Die großen Ölvorkommen wurden allerdings erst Jahre nach Ende der Kolonialherrschaft, ab den 1950er Jahren, entdeckt.
- Heutige Bedeutung: Libyen besitzt die größten nachgewiesenen Ölreserven Afrikas. Vor den Wirren des Bürgerkriegs war es ein globaler Schwergewichtsträger in der Ölproduktion.
- Die Akteure: Die National Oil Corporation (NOC) kontrolliert den Sektor. Internationale Giganten wie Eni (Italiens Nachfolger der staatlichen AGIP), TotalEnergies und Wintershall sind entscheidende Partner. Die Förderinfrastruktur wird von EPCC-Schwergewichen wie Saipem, TechnipFMC und McDermott gebaut und gewartet, unterstützt von Servicegiganten wie Schlumberger und Halliburton.
- Bemerkungen: Libyens Ölsektor ist ein Spiegel seiner Politik: hochprofitabel, aber extrem fragil. Die Produktion schwankt stark mit der politischen Stabilität. Die historischen Anlagen aus den 1960er Jahren sind das Fundament der Förderung, doch Investitionen in neue Technologien und Erhaltungsmaßnahmen sind aufgrund der Sicherheitslage enorm schwierig.
Eritrea: Das stille Potenzial am Roten Meer
Eritreas Geschichte mit Kohlenwasserstoffen ist eine lange Abfolge von Hoffnung und Enttäuschung.
- Historischer Kontext: Italienisch-Eritrea war das Herzstück von Italienisch-Ostafrika. Die Suche nach Öl begann schon in den 1920er Jahren unter italienischer Ägide.
- Heutige Bedeutung: Bislang gibt es keine nennenswerte kommerzielle Förderung. Das Land wird jedoch weiterhin als potentiell vielversprechend eingestuft, insbesondere im Offshore-Bereich.
- Die Akteure: Die Eritrean National Oil Company führt das Zepter. In der Vergangenheit waren große Namen wie Anadarko, ENI/Agip und Mobil (heute Teil von ExxonMobil) in der Explorationsphase aktiv. Internationale EPCs wie Saipem waren involviert, aber Projekte kamen selten über die Planungsphase hinaus.
- Historische Meilensteine: Eine bedeutende Gasentdeckung von Mobil im Jahr 1969 (Defnin Block) weckte Hoffnungen, die nie kommerziell genutzt wurden. Weitere Explorationsarbeiten in den 1990er Jahren (z.B. in den Zula und Edd Blocks) blieben ebenfalls ohne Durchbruch.
- Bemerkungen: Die Entwicklung wird seit Jahrzehnten durch politische Isolation, internationale Sanktionen und den anhaltenden Grenzkonflikt mit Äthiopien erstickt. Solange sich die geopolitischen Rahmenbedingungen nicht entspannen, wird das Potenzial Eritreas unangezapft bleiben.
Somalia: Der zerrissene Riese
Somalia könnte über enorme Offshore-Reserven verfügen, doch es bleibt ein Musterbeispiel für das „Ressourcenfluch“-Paradoxon.
- Historischer Kontext: Italienisch-Somaliland war die südliche Hälfte des modernen Somalia. Die Kolonialherren betrieben keine nennenswerte Ressourcenexploration.
- Heutige Bedeutung: Rein geologisch betrachtet, gehört das somalische Becken zu den vielversprechendsten noch unerschlossenen Regionen der Welt. Die tatsächliche Förderung ist jedoch nahezu nichtexistent.
- Die Akteure: Die State Oil Company of Somalia (SOCS) existiert mehr auf dem Papier. In der Realität kontrollieren regionale Akteure und Bundesstaaten Teile des Potenzials. Jegliche internationale Beteiligung ist ein hochriskantes Unterfangen.
- Bemerkungen: Die extreme politische Instabilität, Piraterie und interne Konflikte haben jede seriöse Exploration verhindert. Sollte jemals Stabilität einkehren, könnte Somalia zum Spielball internationaler Ölkonzerne werden – was sowohl eine Chance als auch eine enorme Gefahr für den fragilen Staat darstellt.
Äthiopien: Der späte Nachzügler im Binnenland
Äthiopiens Rolle in dieser Aufzählung ist eine historisch-ironische.
- Historischer Kontext: Äthiopien wurde nie vollständig kolonialisiert, aber von 1936-1941 von Italien okkupiert. Die heutigen Öl- und Gasvorkommen haben keinerlei Verbindung zu dieser kurzen Besatzungszeit.
- Heutige Bedeutung: Äthiopien ist ein aufstrebender Explorer. Es gibt vielversprechende Onshore-Vorkommen in den Ogaden- und Gambella-Regionen, die bisher nur in geringem Maße erschlossen sind.
- Die Akteure: Petroleum Ethiopia (staatlich) reguliert den Sektor. Chinesische Firmen wie Poly-GCLsind in der Erkundung und frühen Förderphase führend und investieren massiv in Pipeline-Projekte zum Export über Dschibuti.
- Bemerkungen: Im Gegensatz zu seinen Nachbarn bietet Äthiopien relative politische Stabilität, was es für langfristige Investitionen attraktiver macht. Die Herausforderungen liegen in der Binnenlageund den damit verbundenen hohen Exportkosten. Alle relevanten Förderanlagen sind modern und jung, erste nennenswerte Explorationen begannen erst in den 2000er Jahren.
Fazit: Ein koloniales Erbe mit zwei Gesichtern
Die Suche nach Öl und Gas in den ehemaligen italienischen Kolonien offenbart eine geteilte Realität:
- Libyen besitzt den Reichtum, kann ihn aber aufgrund politischer Erbstücke aus der Kolonial- und Nachkolonialzeit nicht stabil nutzen.
- Eritrea und Somalia besitzen das Potenzial, scheitern aber an den geopolitischen Konflikten und instabilen Strukturen, die auch ein Erbe der willkürlichen kolonialen Grenzziehung und nachfolgender Konflikte sind.
- Äthiopien geht, befreit von einer tiefgreifenden kolonialen Prägung, seinen eigenen, langsameren, aber potenziell stabileren Weg.
Italiens koloniales Erbe ist somit nicht die direkte Kontrolle über die Ressourcen, sondern vielmehr die komplexen politischen Landschaften, in denen diese Ressourcen heute liegen – ein Erbe, mit dem sowohl Europa als auch Afrika noch lange umgehen müssen.
Hinweis: Die Informationen basieren auf dem Stand 2025. Besonders die Situation in Libyen und Somalia kann sich schnell ändern. Die Beteiligung internationaler Konzerne unterliegt stark geopolitischen und sicherheitsrelevanten Faktoren.