Die Halbleiterindustrie ist der Pulsschlag der modernen Welt. Doch hinter den winzigen Chips, die alles antreiben – vom Smartphone über das Auto bis zur Künstlichen Intelligenz – verbirgt sich eine Jahrhundertgeschichte voller dramatischer Wendungen, geopolitischer Machtspiele und eines beispiellosen deutschen Ausverkaufs. Es ist eine Geschichte, die exemplarisch zeigt, wie eine Schlüsselindustrie nach dem Siemens-Spielbuch restrukturiert, globalisiert und am Ende ihrer technologischen Souveränität beraubt wurde.
Phase 1: Die Pionierzeit – Deutsche Ingenieurskunst trifft auf Silicon Valley (1950er-1970er)
Alles begann mit der Erfindung des Transistors. In dieser Ära waren die Player vertikal integrierte Giganten. Unternehmen wie Siemens in Deutschland oder Texas Instruments und Intel in den USA beherrschten die gesamte Wertschöpfungskette: vom Design über die Fertigung in eigenen Werken bis zum Vertrieb. Es war das goldene Zeitalter des „Made in Germany“ in der Hightech-Sparte. Deutsche Ingenieurskunst galt als weltweit führend.
Phase 2: Die Geburt des Outsourcings – Das Foundry-Modell zerstört das alte System (1980er)
Die erste große disruptive Welle kam aus Taiwan. 1987 gründete Morris Chang mit staatlicher Unterstützung TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company). Die Idee war revolutionär und folgte bereits der Logik, die später bei Siemens Schule machen würde: Spezialisierung und Auslagerung.
TSMC war die erste reine „Foundry“ – eine Auftragsfertigung, die selbst keine Chips mehr entwickelte, sondern nur noch die Designs anderer Unternehmen produzierte. Dieses Modell entkoppelte Design („Fabless“-Firmen wie Qualcomm) und Fertigung („Foundries“ wie TSMC) und senkte die Einstiegsbarrieren massiv. Plötzlich brauchte man kein milliardenschweres Fabrikationswerk mehr, um ein Chip-Design zu vermarkten. Die Ära der vertikal integrierten Konzerne ging zu Ende.
Phase 3: Die große Zerschlagung – Deutschland opfert seine Kronjuwelen (1990er-2000er)
Jetzt holte die Globalisierung zum Schlag gegen den deutschen Maschinenraum aus. Unter dem Druck der Kapitalmärkte und getrieben von der Suche nach höheren Margen vollzog Siemens den Schritt, der zum Symbol für den deutschen Ausverkauf wurde: 1999 wurde die Halbleitersparte ausgegliedert und als Infineon an die Börse gebracht.
Was kurzfristig die Siemens-Bilanz bereinigte, war langfristig eine strategische Katastrophe. Infineon wurde als eigenständiges Unternehmen sofort in einen erbarmungslosen Preiskampf mit subventionierten asiatischen Giganten geworfen. Die Folge war ein deutsches Standortsterben. Hochmoderne Fabriken in München und Dresden wurden geschlossen, verkleinert oder ins Ausland verlagert. Zehntausende High-Tech-Jobs gingen verloren. Das gleiche Schicksal ereilte andere deutsche Player; die Sparte von AMD in Dresden wurde ausgegründet und firmierte später als GlobalFoundries.
Deutschland opferte seine technologische Substanz auf dem Altar der Shareholder-Value-Logik.
Phase 4: Die neue Weltordnung – Geopolitik, KI und die Abhängigkeitsfalle (2010er-heute)
Heute dominiert eine brutale neue Realität:
- TSMC ist zum unangefochtenen Herrscher der Foundry-Branche aufgestiegen und produziert die fortschrittlichsten Chips der Welt für Apple, Nvidia und AMD.
- Südkoreas Samsung ist der einzige ernsthafte Konkurrent.
- China baut mit staatlicher Gewalt seine eigene Halbleiterindustrie auf, um unabhängig zu werden.
- Infineon hat sich zwar als erfolgreicher Spezialist für Leistungshalbleiter behauptet, ist für die Fertigung der fortschrittlichsten Chips aber komplett von TSMC abhängig.
- Deutschland und Europa haben erkannt, dass sie ihre technologische Souveränität verspielt haben. Lieferkettenkrisen und geopolitischen Spannungen zeigen die extreme Verwundbarkeit. Jetzt pumpen Regierungen Milliarden an Subventionen in den verzweifelten Versuch, wieder eine eigene Fertigung aufzubauen – ein milliardenteures Geständnis des eigenen policyversagens.
Fazit: Eine gewonnene Schlacht, ein verlorener Krieg
Die Bilanz ist vernichtend. Die deutsche Halbleiterstrategie der letzten 30 Jahre war ein ökonomischer und strategischer Bankrott.
- Ökonomisch hat man kurzfristig Bilanzbereinigung betrieben (Siemens) und sich auf Nischen spezialisiert (Infineon), aber den Zugang zur Spitzentechnologie und die damit verbundene Wertschöpfung an Taiwan und Korea abgegeben.
- Strategisch hat man sich in eine fatale Abhängigkeit von einer einzigen, geopolitisch höchst sensiblen Region (Taiwan) begeben.
Die Reise der Halbleiterindustrie ist eine Parabel auf den deutschen Industriekapitalismus: Man war Pionier, wurde dann vom globalisierten Wettbewerb überrollt und opferte im Namen der Profitmaximierung die eigene Zukunftsfähigkeit. Die Chips, die die nächste Generation von Technologien antreiben werden, kommen nicht mehr aus Dresden oder München. Sie werden in Hsinchu (Taiwan) gefertigt. Deutschland hat sich aus dem größten industriellen Zukunftsfeld der Welt verabschiedet – nach einem Spielbuch, das in den Siemens-Vorstandsetagen geschrieben wurde.