Musikindustrie und Banken: Warum Öl- und Gas-Standards nicht passen – und was stattdessen nötig ist

Die Musikindustrie in Deutschland verzeichnet im Jahr 2025 ein beeindruckendes Wachstum, angetrieben durch die digitale Revolution. Mit einem Gesamtumsatz von voraussichtlich über 2,4 Milliarden Euro und einem digitalen Marktanteil von fast 90 % ist sie eine dynamische und zukunftsträchtige Branche. Doch wie bewerten Banken diese Unternehmen, wenn es um Kreditvergaben und Investments geht? Erschreckenderweise oft mit den gleichen risikobasierten Standards wie für die Öl- und Gasindustrie – ein folgenschwerer Fehler.

Die aktuelle Lage: Eine Bilanz der Musikindustrie

Betrachtet man die aktuellen Daten, zeigt sich ein klares Bild:

  • Umsatz: 1,157 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2025 (+1,4 % zum Vorjahr). Der Gesamtumsatz 2024 lag bei 2,38 Mrd. Euro.
  • Gewinntreiber: Audio-Streaming mit einem Anteil von 78,1 % am Gesamtumsatz und einem Wachstum von 3,8 %.
  • Vermögenswerte: Immaterielle Vermögenswerte wie Kataloge, Künstlerverträge, Lizenzrechte und Technologieplattformen dominieren die Bilanz. Physische Assets wie Lager für CDs oder Vinyl verlieren an Bedeutung (nur noch 12,5 % Umsatzanteil).
  • Cashflow: Geprägt von wiederkehrenden Einnahmen (Subscription-Modelle) und Lizenzzahlungen, was eine relativ strome und planbare Einnahmeseite schafft.

Im Gegensatz zur Öl- und Gasindustrie, die von hohen CAPEX (Investitionsausgaben) für Exploration und Förderanlagen sowie volatilen OPEX (Betriebskosten) geprägt ist, operiert die Musikindustrie mit niedrigeren CAPEX (Investition in Software, Marketing) und skalierbaren, digitalen OPEX. Der Return on Investment (ROI) ist weniger von Rohstoffpreisen abhängig, sondern von der Fähigkeit, Nutzer zu binden und Inhalte zu monetarisieren.

Die Fehlanwendung: Öl- und Gas-Standards für die Musikbranche

Viele Banken wenden standardisierte Risikobewertungsmodelle an, die für asset-heavy, rohstoffbasierte Industrien entwickelt wurden. Für ein Musiklabel oder einen Streaming-Dienst, das/die einen Kredit beantragt, bedeutet das:

  1. Falsche Bewertung der Sicherheiten: Die wertvollsten Assets der Musikindustrie – die Lizenzrechte und Künstlerkataloge – sind immateriell und werden von Banken, die auf physische Sicherheiten (Maschinen, Grundstücke, Rohstoffreserven) konditioniert sind, oft unterbewertet oder nicht als vollwertige Sicherheit anerkannt.
  2. Unpassende Risikokennzahlen: Die Risikomodelle für Öl und Gas bewerten politische Risiken in Förderländern, Umweltkatastrophen oder Preisschocks. Die größten Risiken der Musikindustrie liegen hingegen in der schnellen technologischen Veränderung, Urheberrechtsstreitigkeiten, Künstlerkarrieren und der Cybersecurity.
  3. Fehlallokation von Kapital: Durch diese unpassende Bewertung wird innovativen Musikunternehmen Kapital vorenthalten oder nur zu unattraktiven Konditionen angeboten. Dies bremst Wachstum und Innovation in einer Schlüsselbranche der Kultur- und Kreativwirtschaft.

Die vernachlässigte Gefahr: AML & KYC in der Musikwirtschaft

Während Banken sich auf physische Sicherheiten versteifen, übersehen sie oft die eigentlichen finanziellen Risiken, die auch in der Musikindustrie lauern. Die Prinzipien der Geldwäschebekämpfung (AML – Anti-Money Laundering) und der Kundenkenntnis (KYC – Know Your Customer) sind nicht nur für Banken, sondern auch für die Musikwirtschaft relevant, werden dort aber häufig sträflich vernachlässigt.

  • Risikobereiche: Die komplexen Wertschöpfungsketten mit Beteiligten aus der ganzen Welt (Künstler, Produzenten, Label, Verwertungsgesellschaften, Streaming-Dienste) können anfällig für Geldwäsche sein. Scheinfirmen, überhöhte Rechnungen für Produktionsleistungen oder die Verschleierung der wirtschaftlich Berechtigten hinter Künstlerverträgen sind mögliche Einfallstore.
  • Die Konsequenz (Schadenssumme): Wenn Banken bei ihren Musikkunden keine robusten AML/KYC-Prozesse einfordern oder prüfen, setzen sie sich selbst einem erheblichen Reputations- und Regulierungsrisiko aus. Geldwäscheskandale, die durch Scheingeschäfte in der Musikindustrie laufen, können zu milliardenschweren Strafen für die beteiligten Banken führen – eine Schadenssumme, die die Höhe eines ausgefallenen Kredites bei weitem übersteigen kann.

Der Lösungsweg: Neue Bewertungsstandards und Due Diligence

Banken müssen ihre Bewertungsmodelle an die Realität der modernen, digitalen Musikindustrie anpassen. Dazu gehört:

  1. Bewertung immaterieller Vermögenswerte: Entwicklung von standardisierten Methoden zur Bewertung von Musikrechten und Katalogen als Kernsicherheit.
  2. Branchenspezifische Risikomodelle: Die Bewertung muss technologische Risiken, Markttrends und das Künstler-Portfolio in den Vordergrund stellen, nicht politische Risiken in Förderländern.
  3. Stärkere Fokussierung auf Cashflow: Die Bewertung der Bonität sollte sich stärker auf die Stabilität und Vorhersehbarkeit der Streaming- und Lizenz-Einnahmen stützen.
  4. AML/KYC als Kernbestandteil der Due Diligence: Banken müssen von Musikunternehmen transparente Eigentümerstrukturen und nachvollziehbare Wertschöpfungsketten einfordern. Die Überprüfung der Geschäftspartner (Künstler, Produzenten, Lizenznehmer) auf Reputation und Legitimität sollte Teil der Kreditwürdigkeitsprüfung sein.

Unternehmen, die sich im internationalen Geflecht von Lizenzgeschäften und Projekten bewegen, können von Partnern profitieren, die Erfahrung mit der Komplexität globaler Wertschöpfungsketten und deren transparenter Abbildung haben. Eine professionelle Begleitung kann helfen, die notwendige Transparenz für Banken zu schaffen und so den Zugang zu Kapital zu erleichtern.

Fazit

Die Musikindustrie ist keine Öl- und Gasindustrie. Die pauschale Anwendung veralteter Bewertungsstandards durch Banken hemmt das Wachstum eines wichtigen kulturellen und wirtschaftlichen Sektors. Gleichzeitig werden die wahren finanziellen Risiken, insbesondere im Bereich Compliance (AML/KYC), oft übersehen. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel im Bankensektor: Weg von der Betrachtung physischer Sicherheiten und hin zu einer intelligenten Bewertung immaterieller Werte und einer konsequenten Transparenzprüfung. Nur so kann das volle Potenzial der Musikwirtschaft finanziert und nachhaltig abgesichert werden.

Quellen:

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