Der Weg der Jesiden (Yeziden) von ihren Ursprüngen bis heute in Kurdistan

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Die Jesiden (auch Yeziden oder Êzîden genannt) sind eine ethnisch-religiöse Gemeinschaft mit Wurzeln in Mesopotamien und Kurdistan. Ihre Geschichte ist geprägt von Migration, Verfolgung und dem Kampf um kulturelle Identität. Hier ist eine chronologische Übersicht ihres Weges:


1. Ursprünge in Mesopotamien (vor 1600 v. Chr. – 12. Jh. n. Chr.)

  • Indirekte kulturelle Einflüsse:
    • Ähnlichkeiten zu hurritischen, sumerischen und zoroastrischen Traditionen (z. B. Engelverehrung, Dualismus).
    • Keine direkte Abstammung, aber mögliche mythologische Überlagerungen.
  • Entstehung als eigenständige Religion (11.–12. Jh. n. Chr.):
    • Formierung unter Einfluss des Sufi-Scheichs Adī ibn Musāfir (gest. 1162) im Lalisch-Tal (Nordirak).
    • Vermischung von altmesopotamischen, iranischen und islamisch-mystischen Elementen.

2. Mittelalter bis Osmanisches Reich (12.–19. Jh.)

  • Blütezeit im kurdischen Raum:
    • Verbreitung in den Gebieten des heutigen Nordirak, Südosttürkei und Nordsyrien.
    • Religiöses Zentrum: Lalisch (Heiligtum des Scheich Adī).
  • Unterdrückung und Verfolgung:
    • Osmanische Herrschaft: Jesiden wurden als „Ungläubige“ diskriminiert, da sie keine „Buchreligion“ anerkannten.
    • Islamische Eroberungen: Zwangskonversionen, Zerstörung von Heiligtümern.
  • Isolation als Überlebensstrategie:
    • Endogamie-Regeln (Heirat nur unter Jesiden) zur Bewahrung der Identität.
    • Mündliche Tradition: Religiöse Texte (Qewls) wurden nicht schriftlich fixiert, um Verfolgung zu entgehen.

3. 20. Jahrhundert: Nationalstaaten und Vertreibungen

  • Aufteilung Kurdistans nach dem Ersten Weltkrieg:
    • Jesiden lebten plötzlich in Türkei, Irak, Syrien und später Sowjetunion (Armenien/Georgien).
  • Verfolgung in der Türkei:
    • Massaker von 1892 und 1915: Jesiden wurden als „heidnische Kurden“ Opfer von Pogromen.
    • Viele flohen in den Irak (unter britischem Mandat).
  • Relatives Schutz im Irak:
    • Unter britischer Herrschaft (1920er) und später im autonomen Kurdistan (ab 1991) hatten Jesiden mehr Freiheiten.
    • Lalisch blieb spirituelles Zentrum.

4. 21. Jahrhundert: Genozid und globale Diaspora

  • IS-Genozid 2014:
    • Im Nordirak wurden tausende Jesiden ermordet oder versklavt, da der IS sie als „Teufelsanbeter“ diffamierte.
    • Überlebende flohen nach Europa (v. a. Deutschland), Kanada oder Armenien.
  • Aktuelle Situation:
    • Irak: Rund 550.000 Jesiden, viele leben in Flüchtlingscamps.
    • Deutschland: Größte Diaspora (ca. 200.000), vor allem in Niedersachsen und NRW.
    • Politische Forderungen:
      • Anerkennung des Völkermords durch den IS.
      • Autonomie im Irak (z. B. in der Region Sindschar).

5. Kultur und Religion heute

  • Heilige Stätten:
    • Lalisch (Irak) – Wallfahrtsort mit dem Grab des Scheich Adī.
    • Kaniya Spî (Syrien) – „Weiße Quelle“, Symbol der Reinheit.
  • Religiöse Praxis:
    • Feiertage wie das Jesidische Neujahr (Çarşema Sor) und Pilgerfeste.
    • Strikte Hierarchie: Mir (weltlicher Führer), Baba Scheich (spirituelles Oberhaupt).
  • SpracheKurmandschi (nordkurdisch), aber mit eigenen religiösen Begriffen.

Fazit: Ein Volk zwischen Widerstand und Neuanfang

Die Jesiden haben über Jahrhunderte Verfolgung und Diaspora überlebt, indem sie ihre Traditionen isoliert bewahrten. Heute kämpfen sie um:

  1. Schutz im Irak (Rückkehr nach Sindschar).
  2. Anerkennung als eigenständige Ethnie (nicht nur als „kurdische Sekte“).
  3. Bewahrung ihrer Kultur in der Diaspora.

Quellen:

  • Açıkyıldız, B. (2010)The Yezidis: The History of a Community.
  • Kreyenbroek, P. G. (2005)Yezidism: Its Background, Observances.
  • UN-Berichte zum IS-Genozid (2016).

Falls du Details zu einer bestimmten Epoche oder Region brauchst, frag gern nach!

Die hurritische Schöpfungsgeschichte: Ein Vergleich mit jesidischen Mythen

Die hurritische Schöpfungsgeschichte, insbesondere der Kumarbi-Zyklus, weist interessante Parallelen zu späteren jesidischen Mythen auf, insbesondere in der Darstellung göttlicher Hierarchien und kosmischer Kämpfe.

1. Der Kumarbi-Mythos (ca. 15.–13. Jh. v. Chr.)

Die hurritische Schöpfungsgeschichte ist vor allem aus hethitischen Texten bekannt (z. B. „Königtum im Himmel“„Lied von Ullikummi“). Die zentralen Elemente sind:

  • Abfolge der Göttergenerationen:
    1. Alalu (erster König des Himmels)
    2. Anu (Himmelsgott, stürzt Alalu)
    3. Kumarbi („Vater der Götter“, beißt Anus Genitalien ab und verschlingt sie)
    4. Teschub (Wettergott, besiegt Kumarbi)
  • Geburt von Teschub und anderen Göttern: Kumarbi gebiert Teschub und andere Wesen, nachdem er Anus Samen verschluckt hat.
  • Kampf zwischen Ordnung und Chaos: Kumarbi erschafft den Steinriesen Ullikummi, um Teschub zu stürzen, doch dieser wird besiegt.

2. Mögliche Parallelen zu jesidischen Mythen

  • Engel und göttliche Hierarchie:
    • Im Jesidentum gibt es sieben heilige Engel, angeführt von Melek Taus (Engel Pfau).
    • Die hurritische Götterabfolge (Alalu → Anu → Kumarbi → Teschub) könnte strukturell mit der jesidischen Engelhierarchie vergleichbar sein.
  • „Gefallener“ bzw. verstoßener Gott:
    • Kumarbi wird als rebellische Figur dargestellt, ähnlich wie Melek Taus manchmal mit dem „gefallenen Engel“ assoziiert wird (obwohl er im Jesidentum nicht böse ist).
  • Stein- oder Felsensymbolik:
    • Ullikummi, ein steinerner Riese, erinnert an jesidische Legenden über heilige Steine (z. B. Laliş als heiliger Ort).

3. Unterschiede zwischen hurritischer und jesidischer Tradition

  • Kein direkter Einfluss nachweisbar: Die hurritische Kultur verschwand um 1200 v. Chr., während das Jesidentum erst im Mittelalter erkennbar wird.
  • Melek Taus vs. Kumarbi:
    • Kumarbi ist eine ambivalente, oft feindselige Figur.
    • Melek Taus wird im Jesidentum nicht als böse, sondern als treuer Diener Gottes verehrt.

Fazit: Gibt es eine Verbindung?

  • Keine direkte Linie, aber möglicherweise kulturelles Erbe Mesopotamiens, das in späteren Religionen (inkl. Jesidentum) weiterwirkt.
  • Strukturelle Ähnlichkeiten in der Darstellung göttlicher Machtkämpfe, aber unterschiedliche theologische Deutungen.

Quellen:

  • Hoffner, H. A. (1998). Hittite Myths. Society of Biblical Literature.
  • Güterbock, H. G. (1946). Kumarbi: Mythen vom churritischen Kronos.
  • Kreyenbroek, P. G. (2005). Yezidism: Its Background, Observances, and Textual Tradition.

(Falls du bestimmte Texte oder Vergleiche vertiefen möchtest, lass es mich wissen!)

Die Unterschiede zwischen der hurritischen Tradition und dem Jesidentum ergeben sich aus mehreren historischen und kulturellen Faktoren. Hier sind die wichtigsten Gründe für die fehlende direkte Kontinuität:


1. Zeitliche und kulturelle Diskontinuität

  • Hurriter (bis ~1200 v. Chr.):
    • Blütezeit im 2. Jahrtausend v. Chr., besonders im Königreich Mitanni.
    • Nach dem Zusammenbruch der Bronzezeit (um 1200 v. Chr.) assimilierte sich die hurritische Kultur in die hethitische, assyrische und aramäische Welt.
  • Jesidentum (ab Mittelalter, ~11.–12. Jh. n. Chr.):
    • Entstand als eigenständige Religion erst Jahrhunderte nach dem Untergang der Hurriter.
    • Wichtige Einflüsse kamen später aus dem Zoroastrismus, Islam (Sufismus) und lokalen kurdischen Traditionen.

→ Keine direkte Überlieferung, da zwischen hurritischer Kultur und Jesidentum fast 2500 Jahreliegen.


2. Unterschiedliche religiöse Entwicklungen

  • Hurritische Religion:
    • Polytheistisch mit Götterkämpfen (z. B. Kumarbi vs. Teschub).
    • Enge Verbindung zu mesopotamischen (sumerisch-akkadischen) und hethitischen Göttern.
  • Jesidentum:
    • Monotheistisch mit Engelhierarchie (Melek Taus als zentraler Diener Gottes).
    • Starke Betonung der Dualität von Gut und Böse, aber ohne direkte Parallele zu hurritischen Mythen.
    • Spätere Einflüsse durch islamische Mystik (Sufi-Orden wie die Adawiyya).

→ Die theologischen Grundlagen sind zu unterschiedlich, um von einer direkten Abhängigkeit auszugehen.


3. Fehlende schriftliche Überlieferung der Jesiden

  • Die hurritischen Mythen sind durch hethitische Texte überliefert (z. B. aus Ḫattuša).
  • Die Jesiden hatten lange eine rein mündliche Tradition (Qewls, religiöse Hymnen).
    • Schriftliche Aufzeichnungen begannen erst spät (teilweise unter islamischem Einfluss).
      → Keine historischen Dokumente, die eine Verbindung zu den Hurritern belegen.

4. Geographische und ethnische Verschiebungen

  • Hurriter:
    • Lebten vor allem in Nordsyrien, Ostanatolien und Obermesopotamien.
    • Wurden später von Assyrern, Aramäern und Armeniern assimiliert.
  • Jesiden:
    • Entstanden als kurdische religiöse Gruppe im Gebiet des heutigen Nordirak, Türkei und Syrien.
    • Ihre Sprache (Kurmandschi) gehört zu den nordwestiranischen Sprachen, nicht zu den hurritischen (isolierte Sprache).

→ Keine ethnische Kontinuität, da die Jesiden erst später als eigenständige Gruppe hervortraten.


5. Unterschiedliche Funktion der zentralen Figuren

  • Kumarbi (hurritisch):
    • Ein rebellischer Gott, der andere stürzt und Chaos verursacht.
    • Wird letztlich von Teschub besiegt (Thema: Kampf um kosmische Ordnung).
  • Melek Taus (jesidisch):
    • Kein Rebell, sondern ein treuer Engel, der Gottes Prüfung besteht.
    • Wird nie endgültig gestürzt, sondern verehrt.

→ Theologische Grundaussagen sind fundamental verschieden.


Fazit: Warum gibt es keine direkte Verbindung?

  1. Zeitliche Lücke: 2500 Jahre zwischen Hurritern und Jesidentum.
  2. Kulturelle Brüche: Hurriter verschwanden, Jesiden entstanden aus späteren Traditionen.
  3. Theologische Unterschiede: Polytheismus vs. monotheistische Engelverehrung.
  4. Fehlende Überlieferung: Jesiden hatten keine schriftlichen Quellen zu hurritischen Mythen.

Möglicherweise haben indirekte Einflüsse aus dem mesopotamischen Raum (z. B. Motive wie göttliche Hierarchien) über lange kulturelle Diffusion das Jesidentum beeinflusst – aber keine direkte Abstammung.

Quellen:

  • Giorgio Buccellati (2017)Hurrians and their Gods in the Tablet Archives of Urkesh.
  • Philip G. Kreyenbroek (2005)Yezidism: Its Background, Observances, and Textual Tradition.
  • Harry A. Hoffner (1998)Hittite Myths.

Falls du bestimmte Aspekte vertiefen möchtest (z. B. linguistische Spuren oder archäologische Funde), kann ich weiter recherchieren!